Situationsbericht: Tschechische Republik – neue Welle des Antiziganismus im Sommer 2013 (Markus Pape)

Situationsbericht

Tschechische Republik – neue Welle des Antiziganismus im Sommer 2013

Auch anerkannte Experten für Rassismus und politischen Extremismus schütteln ungläubig den Kopf. Die Polizei ist offensichtlich überfordert und selbst der tschechische Verfassungsschutz (BIS) hat diese Entwicklung nicht vorausgesehen.

Zwei Jahre lang kümmerte die tschechische NS-Szene vor sich hin, das Potential für größere Aktionen schien nach den hohen Strafen für den letzten großen Brandanschlag von Neonazis im April 2009 vollends erschöpft – und auf einmal folgt eine gewalttätige Demo auf die andere, im wöchentlichen Rhythmus, wie zuletzt erlebt nur im nordböhmischen Varnsdorf im Spätsommer 2011, doch heute in weit größerem Ausmaß.

Duchcov, 22.6.2013

Im Anschluss an eine Kundgebung der tschechischen Neonazi-Partei DSSS verwandelten im Juni 2013 einige Dutzend Neonazis, unterstützt von Hooligans und Schlägertypen sowie etwa Tausend „gewöhnlicher“ Bürger der Region, Straßen der nordböhmischen Kleinstadt Duchcov (Dux) in ein Schlachtfeld. Erst im Nachhinein stellte sich heraus, dass hinter den Ausschreitungen keineswegs die Partei steht, sondern eine Splittergruppe von ehemaligen Mitgliedern namens „Tschechische Löwen“, die den Grundstein für die Gründung einer neuen und weitaus aktiveren Partei legen wollen. Um in die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu lenken, entschieden sich für das altbewährte Rezept der Aufwiegelung zu Gewalt.

Zur Herstellung von Gegenöffentlichkeit und zur Beruhigung von Kindern und Müttern veranstaltete die Bürgerinitiative Konexe am selben Tag ein Happening im Armenviertel der Stadt, in der Straße mit dem höchsten Anteil von Roma in der Bevölkerung. Die bislang als Radikalentruppe verschriene Gruppe von Aktivisten, Pastoren, Studenten und anders Denkenden genoss zum ersten Mal zumindest verbale Unterstützung der tschechischen Regierungsbeauftragten für Menschenrechte.

www.youtube.com/watch?v=ccDeYCTRXS8

www.romea.cz/cz/zpravodajstvi/domaci/video-chikatar-het-z-bahna-ven-v-duchcove-projevy-hudba-zpev-tanec

Das ordnungsgemäß angemeldete und spontan organisierte kulturell-gesellschaftliche Festival mit Rede- und Musikbeiträgen von Roma und sonstigen Bürgern fand ohne Störungen statt, das Viertel wurde von der Polizei verschanzt und bis in die Abendstunden hermetisch abgeriegelt. Einen Katzensprung entfernt lieferte sich die Polizei indes eine Straßenschlacht nach der anderen, Demonstranten bewarfen Spezialeinheiten mit Steinen und Flaschen, diese antworteten mit Tränengasgranten und Wasserwerfer. Dutzende von Randalierern wurden kurzzeitig in Gewahrsam genommen, einige davon wegen Landesfriedensbruch oder Gewalt gegen Beamte angezeigt.

České Budějovice, 29.6.2013

Bislang unerklärlich bleibt für die Expertenlandschaft, dass dieselben Drahtzieher – eine Splittergruppe von ehemaligen Mitgliedern der im Jahre 2010 verbotenen Neonazipartei Dělnická Strana (Arbeiterpartei) namens Tschechische Löwen – am folgenden Wochenende ein ähnliches Szenario in der rund 200 Kilometer entfernten südböhmischen Metropole Böhmisch-Budweis erfolgreich abzogen.

Erneut diente ein banaler Zwischenfall – diesmal eine Rauferei von Kleinkindern auf einem Spielplatz, die in Handgreiflichkeiten von Erwachsenen überging – zur Anstachelung von mehr als Tausend ansässigen s.g. Weißen wurde, die daraufhin angeführt von Schlägertrupps zu einem vornehmlich von Roma bewohnten Stadtviertel zog. Kollektivschuld für ein vermeintliches Vergehen Einzelner als Grund für ein Pogrom – Historiker können ein Lied davon singen, wie einfach und oft Politiker wie auch einfache Menschen dieses Rezept in der Menschheitsgeschichte anwandten, um eigenes Versagen zu vertuschen.

Wer erwartet hatte, dass nach den Ausschreitungen von Duchcov sich die Polizei auf ähnliche Unruhen in Budweis vorbereitet und entsprechend eingegriffen hätte, sah sich getäuscht. Sie ließ einen etwa tausendköpfigen Mob, einschließlich Müttern mit Kinderwagen, etwa vier Kilometer einen unangemeldeten, doch auf der vorhergehenden Kundgebung auf dem Marktplatz bei Anwesenheit von Polizeibeamten öffentlich angekündigten Marsch in Richtung Roma-Viertel marschieren.

CeskeBudejovice

Foto: Ivanka Maripoša Čonková, Konexe

Erst als der Mob versuchte, in die Nähe einer weiteren von Konexe zur Deeskalisierung organisierten Roma-Kundgebung zu gelangen und damit auch von dieser für die Kundgebung reservierten Straßen betrat, griffen die schwer bewaffneten Spezialeinheiten ein und jagten Gruppen von Demonstranten planlos durch die Straßen der Plattenbausiedlung Máj.

Demonstranten stürzten Müllcontainer um und zündeten diese an, bewaffneten sich mit Glasflaschen aus gefüllten Altglascontainer und einer etwa fünfzig Mann starken Schlägertruppe gelang es tatsächlich in das Roma-Viertel vorzudringen, woraufhin eine Gruppe von etwa 15 ansässigen Roma und Nicht-Roma sie im Schnellverfahren in die Flucht schlug. Die vor Ort bereit stehende allerdings zahlenmäßig völlig unzureichende Polizeispezialeinheit sah im Gehschritt zu, wie ein sich den Roma entgegen stellende Neonazi von diesen umgehend kampfunfähig gemacht wurde.

Anschließend drängte die Polizei einen mittlerweile etwa 300 Personen und übelste rassistische Beschimpfungen skandierende Mob aus dem Roma-Viertel und die Roma-Anwohner selbst in ihre Häuser. In der Woche davor hatte die örtliche Polizeileitung den Roma ununterbrochen versichert, dass sie ein Eindringen von Neonazis in das Viertel auf jeden Fall verhindern werde.

www.youtube.com/watch?v=zl_iR9A0v_4

Die Straßenschlachten und das seltsame Katz-und-Maus-Spiel von Polizei und rassistischen Demonstranten zog sich bin die Abendstunden hin und hinterließ ein Mal mehr Hunderte von stark traumatisierten Kindern, die sich nun kaum mehrallein auf die Straße trauten. Das Gefühl der allgemeinen Bedrohung, dass durchaus Anlass für die Kundgebung und spontanen Marsch der „Weißen“ war, vertiefte sich von Tag zu Tag auf beiden Seiten der unsichtbaren Barrikade. Unverständlich für viele blieb, dass dies alles hätte verhindert werden können, wenn die Polizei den Demonstrationszug gestoppt hätte, bevor er einer der in diesem Bereich befindlichen einzigen drei Brücken über die Moldau überquerte. Unübersehbar waren Anzeichen, dass die Leitung der Landespolizei den Einsatz so leitete, dass ein Kontakt zwischen den beiden Gruppen durchaus im Bereich des Möglichen war.

Bezeichnend für das gesamte Geschehen war schließlich eine Szene, in der ein Demonstrant einen Polizisten mit einem mehrere Kilogramm wiegenden Wackerstein traf, dieser zu Boden ging und in der Nähe stehende „Bürger“ dies mit Applaus würdigten. In diesem Moment hatte wohl auch der letzte Polizist verstanden, dass es nicht mehr nur um ein paar Rechtsradikale ging, deren Gewaltbereitschaft einfach hätte entsorgt werden können, sondern dass die Gewaltbereitschaft der gewöhnlichen Stadtbevölkerung selbst gegenüber Polizisten das gewöhnliche Maße um eine Vielfaches überstieg.

České Budějovice, 6.7.2013

Nach den massiven Ausschreitungen der Vorwoche änderte sich die Strategie der Polizei, offensichtlich auf Anordnung des Prager Polizeipräsidiums. Nun wurden Spezialeinheiten der Ordnungspolizei aus Brünn und Prag nach Budweis, die sowohl über einen reichen Erfahrungsschutz z.B. aus Fußballstadien als auch über beste technische Ausrüstung verfügen, beordert. Am frühen Morgen hatten die Stadtwerke diesmal sämtliche Müll- und Altglascontainer aus den Straßen der Siedlung Máj abtransportiert.

Auch wenn diesmal die angemeldete Kundgebung von den Organisatoren kurzerhand abgeblasen wurde, fanden sich erneut etwa Tausend „Weiße“ auf dem Marktplatz ein. Nachdem sie ihre ohne jede Apparatur veranstaltete Kundgebung selbst aufgelöst hatten, tauchten sie in kurzer Zeit erneut vor der Plattenbausiedlung auf und wie gehabt warfen einige nunmehr schon einschlägig bekannten gewalttätigen Demonstranten ein paar Flaschen auf die Polizei, woraufhin diesmal deren Antwort resolut wurde. Als Rechtsextremisten gekleidete Polizisten in Zivil, die in keiner Weise als Ordnungshüter gekennzeichnet waren, hatten sich unter die Demonstranten gemischt und griffen nun teils äußerst brutal die Rädelsführer ohne bereits vom vorherigen Wochenende bekannten Gewalttäter ab, stürzten sie zu Boden, fesselten sie und führten sie unter dem Schutz von informierter Polizei zu Transportfahrzeugen ab.

www.youtube.com/watch?v=e3lL0BL13CA

www.romea.cz/cz/zpravodajstvi/domaci/video-sestrih-shromazdeni-a-debaty-na-ceskobudejovickem-sidlisti-maj

Die ansässigen Schaulustigen oder aufgebrachten ethnischen Tschechen, unter denen diesmal keine Kleinkinder und nur wenig Kinder waren, wurden mit Kanonenschlägen und Tränengas aus dem Viertel vertrieben und die Zivilpolizisten machten dabei förmlich Jagd auf konkrete Verdächtige. Nach Polizeiangaben wurden 123 Demonstranten festgenommen, einige davon verletzt ebenso wie erneut einige Polizeibeamte. Die ansässigen Roma wohnten hingegen einem als religiöse Veranstaltung von einem Prager evangelischen Jugendpfarrer in der zumeist von Roma bewohnten Volfa-Straße bei, wobei sowohl Roma als auch ansässige Nicht-Roma ihre Meinung zum Thema zum Ausdruck bringen konnten. Der gemeinsame Dialog hatte begonnen, ohne dass die Polizei oder Stadtregierung sich daran beteiligt hätte.

České Budějovice, 13.7.2013

Nun war die Polizei gewarnt und wappnete sich erneut auf das folgende Wochenende offensichtlich in der Erwartung, dass die von einer Rückkehr zum kommunistischen Polizeistaat zeugenden Bilder und Videos auf unzähligen Webseiten die Stadtbevölkerung dazu bewegt hat, von weiteren Spontankundgebungen abzusehen. Und wieder sollte man sich täuschen. Vorsichtshalber wurden erneut Müll- und Altglascontainer abtransportiert sowie das gesamte Gelände nach Waffenverstecke abgesucht.

Die Spezialeinheiten – diesmal wieder ohne ihre in Zivil auftretenden Kollegen – gingen resolut und ohne Erbarmen gegen die sich erneut vor dem Viertel zusammenrotten Otto-Normal-Rassisten vor und verhafteten mehr als sechzig Personen zum großen Teil nur wegen des Verdachts auf Begehung des Ordnungsvergehens Nichtbeachtung einer polizeilichen Anordnung. Nach inoffiziellen Angaben war ein Zehntel der Verhafteten werktätig, der Rest arbeitslos.

www.youtube.com/watch?v=3mb_thGn1XE

www.youtube.com/watch?v=gSihpf5DNP0

Die Roma indes friedlich verbleiben vor ihren Häusern und drei Geistliche veranstalteten einen weiteren improvisierten Gottesdienst, nachdem jeder der Anwesenden seine Meinung zum Geschehen äußern konnte, sowohl ethnische Roma als auch ethnische Tschechen. Auffällig war, dass mittlerweile eher Roma-Frauen vor den Häusern standen, an den vorhergehenden Wochenenden hatten ihre Männer sie offensichtlich von der Straße verbannt.

České Budějovice, 20.7.2013

Schier kurios war das Ende der Demo-Serie. Trotz der Erfahrungen der Vorwochen versammelten sich am frühen Samstagabend ein paar Dutzend Menschen aus und vor dem Viertel. Da sie offensichtlich friedliche Absichten hatten, entschied die Polizei ihnen freies Geleit in die vor allem von Roma bewohnte Volfa-Straße zu gewähren. Dort hatten sich inzwischen spontan oder perfekt organisiert 150 Roma versammelt. Nach drei Wochenenden konnten die letzten verbliebenen nun endlich ihr schwer erkämpftes Ziel erreicht haben.

Zuerst kam es zu einem heftigen Wortgefecht zwischen einer Handvoll pubertär sich gebärenden Demonstranten und einigen Roma-Männern, bis die Polizisten beide Gruppen voneinander trennten und diese sich nur noch feindselig gegenüber standen. Es folgten fünf Aufrufe der Polizei an die Roma: „Kehren Sie in ihre Häuser zurück, andernfalls erfolgt ein Zugriff.“ Einzelne Roma erwiderten selbstbewusst: „Sollen die doch gehen, wir sind hier zuhause“, und blockierten die eigene Straße. Doch auch nach dem fünften Aufruf zur Räumung der Straße räumte niemand das Feld, geschweige denn die eigene Straße, und die Polizei musste sich unverrichteter Dinge damit abfinden, dass sie nun Stunden lang in der Straße verharren werden muss, sollte ihr nichts anderes einfallen.

Dann kam die Einsatzleitung auf die Idee, die etwa 60 Demonstranten durch die Straße ziehen zu lassen. Dahinter stand die Erwartung, die aufgebrachten Mitbürger würden somit endlich auf ihre Kosten kommen und dann zufrieden nach Hause gehen. Auf polizeiliche Anweisung räumten die Roma die Fahrbahn, einzelne Stadtpolizisten bildeten einen Cordon auf beiden Straßenseiten und boten den „weißen“ Siedlungsbewohnern an, durch den Korridor zu gehen. Zur Überraschung der Ordnungshüter setzten sich die Siedlungsbesetzer jedoch nicht in Bewegung. Nach einer Weile fassten sich drei Demonstranten ein Herz und durchquerten teils lachend teils mit versteinerter Miene. Ihre Kontrahenten quittierten dies mit begeistertem Applaus und ohne jegliche rassistische Beleidigungen. Dann wieder Stille.

Roma fragten Polizisten, ob „die Weißen“ da nun bis Mitternacht dort stehen bleiben werden. Schließlich setzten sich drei der offensichtlichen Rädelsführer der Demonstration in Bewegung, zwei sommerlich gekleidete Frauen und ein hagerer Mann in mittlerem Alter, begleitet von einem Polizisten in Zivil – am Oberarm eine Armbinde mit der Aufschrift „Polizei“. Die Drei schritten heldenhaft durch das Spalier der Roma und als sie drei Viertel der Strecke zurück gelegt hatten, hob eine der Frauen ihre Arme in die Höhe und jubelte wortlos, als hätte sie gerade einen Schönheitswettbewerb gewonnen.

Plötzlich wies ihr polizeilicher Begleiter sie an ein Stückweit zurückzukehren und stellte sie einem der inoffiziellen Vertreter der Roma vor: „Ich möchte ihnen zeigen, dass in dieser Straße anständige und ehrenwerte Menschen leben, jetzt können Sie ihm sagen, was Sie auf dem Herzen haben.“ Der Mann und eine der auffällig abgetakelten Frauen ließen eine Kanonade an Vorurteilen los: „Eure Kinder gehen nur bis zur dritten Klasse in die Schule und Arbeit ist für Euch ein Fremdwort.“

Der ältere Herr aus den Reihen der Roma – Zeit seines Lebens in verschiedenen Berufen tätig und Vater von anständig erzogenen Kindern – erwiderte resolut: „Von wem sprechen Sie eigentlich? Von mir und meinen Kindern? Wer gibt Ihnen das Recht, uns auf dem Marktplatz alle in einen Topf zu werfen.“ Die Wochenendrevolutionäre aber zeigten sich nicht in der Lage, auf Gegenargumente zu reagieren und wiederholten stur alles, was in den Reihen der Demonstranten an Phrasen wochenlang gedroschen wurde, bis der bislang ruhig zuhörende Polizist meinte: „Na, ja, das hat wohl doch keinen Sinn hier“, und drängte die beiden Frauen sachte in Richtung Straßenende. Ein ebenso hellhäutiger Mann erklärte den Demonstranten nun, dass dieser seine Informationen hauptsächlich aus Medien beziehe, die allerdings zum großen Teil Roma gegenüber voreingenommen sein, dass er die Gelegenheit wahrzunehmen versäume, seine Informationen an Ort und Stelle im Dialog mit dem Anderen auf ihre Wahrhaftigkeit überprüfen zu können, bis der Neunmalklage schließlich von Polizisten des Anti-Konflikt-Teams darauf hingewiesen wurde, dass er anstatt zuzuhören nur predigen wolle und er darum doch bitte das Feld räumen solle. So sang- und klanglos endete der sicher gut gemeinte Versuch eines für Minderheiten zuständigen Polizisten, einen öffentlichen Dialog zwischen den beiden Gruppen zu initiieren. Der verbleibende Rest der Demonstranten hatte sich mittlerweile entscheiden, die Straße auch ohne polizeiliche Anweisung zu räumen, denn der einsetzende Dialog war offenbar nicht in ihrem Sinne.

Zeitweise erweckte die örtliche Polizei den Eindruck, es an diesem Tag bewusst auf einen Konflikt ankommen lassen zu wollen, um vor den Augen der Mehrheitsbevölkerung zu beweisen, dass sie auch gegen Roma rabiat vorgehen kann. Diese Rechnung ging allerdings nicht auf. Die Budweiser Roma hatten mit Hilfe der örtlichen Salesianer, der Bürgerinitiative Konexe und ihren Unterstützern in den voran gegangenen Wochen gelernt, selbstbewusst und beinahe gelassen auf dem Recht auf ihren Platz in Stadt und Gesellschaft zu bestehen, ohne der Versuchung zu erliegen, auf weitere Provokationen auch nur im entferntesten Sinne zu reagieren.

Ein weiterer Lichtblick ist die Tatsache, dass Roma-Kinder schon wieder fröhlich zwischen den Häusern spielen, vor allem die Frauen selbstbewusst vor ihren Häusern stehen und nur noch lachend den Kopf schütteln, wenn sie auf das Geschehen der letzten Woche angesprochen werden.

Vítkov u Opavy, 3.8.2013

Vier Jahre nach dem bislang schwerwiegendsten und folgenreichsten rechtsextremistischen Brandanschlag von Vítkov, der von internationalen Behörden heute als Terrorakt klassifiziert wird, plant die erwähnte neue Neonazi-Gruppe für Angang August einen Marsch durch die Stadt, der unter anderem an dem Tatort vorbei führen soll. Die Initiative Blokujeme hat angekündigt, den Marsch zu blockieren und somit die neue und äußerst gefährliche Entwicklung an diesem Ort im Keim zu ersticken.

www.romea.cz/en/news/czech/czech-republic-let-s-block-the-marches-blokujeme-platform-wants-to-stop-anti-romani-marches

Nach den teilweise gewalttätigen Ausschreitungen bei Anti-Roma-Demonstrationen andernorts entschloss sich ein breites Spektrum von NGOs und Einzelpersonen eine gemeinsame Plattform mit dem Ziel zu gründen, dem Spuk ein Ende zu setzen. Ihr Name blokujeme.cz („Wir blockieren“) sollten andeuten, dass die Mitglieder der Plattform auch eventuell bereit sind, sich den Neonazis und Rassisten auf deren Trasse entschlossen entgegen zu stellen. Wie sich später herausstellen sollte, würde sich die Plattform nur dann für diese Vorgehensweise entscheiden, wenn die ansässigen Roma es auch eindeutig billigen.

Im Vorfeld der geplanten Kundgebungen hatte die Polizei gemeinsam mit von ihr unterstützten Roma aus Ostrava massive Anstrengungen unternommen, den in Vítkov ansässigen Roma jedwede öffentliche Kundgebung oder Blockade auszureden. Dennoch nahm eine beachtliche Anzahl von Roma an dem Happening teil, ein Großteil der Teilnehmer lehnte jedoch eine direkte Aktion gegen den Hassmarsch ab. Die Polizei hielt etliche auswärtige Roma und vermutlich auch Neonazis davon ab, in die Stadt zu gelangen. Eine Kolonne von fünf Autos mit den Eltern des Opfers des Brandanschlags wurde eine halbe Stunde lang vor der Stadt in einer Polizeisperre festgehalten, ehe sie die Polizei in die Stadt fahren ließ, in der ihre Kinder geboren wurden. Viele Autos mit Nicht-Roma passierten hingegen ohne jegliche Kontrolle die Polizeisperre.

In der tschechisch-schlesischen Stadt fanden schließlich eine politische Kundgebung auf dem Marktplatz mit anschließendem Marsch durch die Stadt statt, in einem kleinen Park unweit des Marktplatzes hingegen ein Roma-Happening mit Redebeiträgen, Musik und Tanz. Die Tschechischen Löwen – die erwähnte Splittergruppe der neonazistischen Arbeiterpartei – wetterten wie üblich gegen eine angebliche Privilegierung von Roma und gegen die hohen Gefängnisstrafen, die über die vier junge Neonazis verhängt wurden, die in Vítkov in der Nacht vom 18. April 2009 drei Molotov-Cocktails in das Haus einer achtköpfigen Roma-Familie geworfen hatten. Ein kaum zweijähriges Mädchen erlitt damals schwerste Verbrennungen, die sie bis an sein Lebensende zeichnen werden.

An der Demonstration beteiligten sich ein paar Dutzend Neonazis und rund dreihundert aufgebrachte oder nur neugierige Bürger aus Vítkov oder Umgebung. Der Marsch verlief friedlich, die Auflage der Polizei nicht an dem örtlichen Wohnheim für Roma-Familien vorbeizuziehen, wurde erfüllt. Erst nach Beendigung des Marsches, also der Auflösung der Demonstration versuchte eine kleine Gruppe von aggressiven Demo-Teilnehmern an den Ort der Kundgebung der Roma zu gelangen, doch die Polizei „blockierte“ sie. Daher verteilten sich die Teilnehmer auf einige Kneipen, in denen sie mehr oder weniger friedlich ihre Durst stillten.

Offizieller Veranstalter des Roma-Happenings war die tschechische SRP („Partei für gleiche Chancen“, bestehend zum großen Teil aus Roma) mit der Unterstützung der neu gegründeten Plattform blokujeme.cz („Wir blockieren“). Von einer Blockade des Nazi-Marsches wurde aus Sicherheitsgründen und auch deshalb abgesehen, da die Zahl der Teilnehmer mit etwa hundert Personen zu gering erschien. Dennoch wurde die von guter Laune geprägte Veranstaltung später als Blockade auf dem Web präsentiert.

http://www.youtube.com/watch?v=KBxwdQGQ5nA

http://www.youtube.com/watch?v=tegpLPkK2bE

Neonazis aus den Reihen der Tschechischen Löwen gelang es nicht, die ansässige Bevölkerung maßgeblich zu mobilisieren. Ihr Plan, den angemeldeten Marsch am Marktplatz mit einer Kundgebung zu beenden, ging nicht auf. Die NGO Konexe hatte diese bis Mitte September für eigene Veranstaltungen reserviert und nutzte diesen Umstand, um auf dem weitläufigen Platz eine Ausstellung über den Roma-Holocaust zu zeigen. In der zum großen Teil von Roma bewohnten Südstadt veranstaltete sie ein weiteres Roma-Happening mit musikalischen Darbietungen für Kinder und Jugendliche. Einige der Neonazis sahen sich später spöttelnd und unter Aufsicht der anwesenden Polizeikräfte die Ausstellung auf dem Marktplatz an.

www.romea.cz/en/news/czech/czech-republic-neo-nazi-anti-roma-event-in-duchcov-a-debacle

www.youtube.com/watch?v=1ZgqJfv8R7w

http://www.youtube.com/watch?v=uFGDgaJoEto

Nach der Demonstration und dem Roma-Happening ließ die Polizei eine Gruppe von Neonazis in die Südstadt laufen, wo sie versuchten in einer vorwiegend von Roma frequentierten Kneipe einen Streit vom Zaun zu brechen. Nach einem kurzen Wortwechsel zogen sie unverrichteter Dinge wieder ab.

Landesweite Kettendemonstration, 24.8.2013

České Budějovice, Ostrava, Plzeň, Duchcov, Jičín, Děčín, Brno

Schon im Juli hatte die militante und vor sechs Jahren vom Prager Innenministerium verbotene Organisation Národní odpor („Nationaler Widerstand“) dazu aufgerufen, am 24. August auf den Marktplätzen jeder Stadt gegen Roma zu demonstrieren. Ziel war es, die Polizeikräfte des Landes zu überfordern und durch eine Verteilung der Demos auf viele Städte einen nationalen Aufstand zu inszenieren. Nach einer intensiven Mobilisierung konzentrierten sich die Vorbereitungen auf sechs Städte, in fünf von diesen übernahmen lokale Neonazis das Kommando.

Duchcov, 24.8.2013

Der neu gegründete Ortsverein der Neonazi-Partei DSSS versuchte an die erfolgreiche Juni-Demonstration mit einer für tschechische Verhältnisse beachtlichen Teilnehmerzahl von etwa tausend Personen anzuknüpfen. Dies gelang ihr am 24. August nur teilweise. Der Marsch durch Duchcov etwa dreihundert Personen verlief friedlich, die Polizei griff nicht ein.

In einer vorwiegend von Roma-Familien bewohnten Straße der Südstadt fand wie gewohnt ein weiteres von der Plattform Blokujeme.cz organisiertes Kinderfest statt, bei dem durch die wiederholten Nazi-Demos und die höchst Roma-feindliche Atmosphäre in der Stadt traumatisierten Roma-Kinder ausgelassen vergnügen konnten. Einmal mehr sahen die „Blockierer“ von einer Blockade ab, da die ansässigen Roma Ausschreitungen mit der Polizei befürchteten.

Ostrava, 24.8.2013

Die größten Ausschreitungen dieses Tages fanden entgegen den Erwartungen der tschechischen Polizei in Ostrava statt. Etwa dreihundert Polizisten bei rund tausend teils gewaltbereiten Demonstranten entsprach hatten große Mühe, Blutvergießen und pogromartige Übergriffe seitens militanter Demonstranten zu verhindern. Im Vorfeld des vom Magistrat der Stadt verbotenen Marsches hatten lokale NGOs an mehreren Plätze in der Stadt eigenen Aktionen angemeldet, auf Druck von Polizeibeamten sagte jedoch einer der Anmelder – ein junger Roma – eine Aktion auf dem Platz Prokešovo náměstí kurzerhand ab und eben dort versammelten sich am 24. August Hunderte von Neonazis ohne jede Anmeldung, um in das mehrheitlich von Roma bewohnte Stadtviertel Přívoz zu ziehen.

Verschiedene in Ostrava ansässige NGOs veranstalteten auf dem Platz nám Sv. Čecha eine Gegenveranstaltung mit Redebeiträgen u.a. von Kumar Vishwanathan, einem langjährigen Aktivisten gegen Romafeindlichkeit und dem Direktor der ortsansässigen NGO „Gemeinsames Zusammenleben“. Mehrere Hundert Roma aus Wohnheimen wurden von Besitzern der Wohnheime mit Bussen zum veranstaltungsort transportiert, kurz nach Beginn der Kundgebung jedoch plötzlich und offenbar auf Anordnung der Polizei nach Hause „abtransportiert“.

http://www.youtube.com/watch?v=-tgHq6KMGHk

Auf dem Weg dorthin griff eine Gruppe von teils maskierten Demonstranten ein vorwiegend von Roma bewohntes Wohnheim an, wobei die Polizei sich nach kleineren Scharmützeln verdrängen konnte. Bei einem weiteren Haus wurde die Eingangstür eingetreten und einige der Neonazis drangen in das Haus ein, ohne dass die Polizei eingreifen konnte. Später sollte sich herausstellen, dass in diesem Haus kein einziger Roma wohnt, die Angreifer aber offenbar vermutet hatten, dass Zivilbeamten der Polizei in dem Haus Zuflucht gesucht hätten. An dem Platz, an dem etwa zwei Stunden zuvor die Roma-Kundgebung stattgefunden hatte, kam es zu weiteren Scharmützeln mit der Polizei.

www.youtube.com/watch?v=anRBhGHugeY&feature=youtu.be

www.youtube.com/watch?v=B6sCC2pNrz8

Der Mob zog weiter in Richtung Přívoz und wurde auf einer großflächigen Kreuzung von der Polizei direkt vor dem Ziel des Marsches gestoppt. Hier lieferten sich die Schlägertrupps der Neonazis eine regelrechte Straßenschlacht mit der Polizei und griff kleinere teils desorientiert wirkende Polizeieinheiten mit Eisenstangen und Pflastersteinen an. Erst nach einem massiven Einsatz von Tränengas und Kanonenschlägen gelang es der Polizei, die Demonstration aufzulösen. Nach Presseberichten wurden mehr als sechzig Personen festgenommen und mehr als zwanzig Polizisten bei dem Einsatz verletzt. Bis Mitte September 2013 hat die Polizei gegen acht Personen strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet.

Pilsen, 24.8.2013

Die Station Pilsen war nicht im Mitte Juli veröffentlichten Programms der „Czech Lions Tournee 2013“ aufgeführt. Erst nach seiner Veröffentlichung beschlossen Pilsener Rassisten sich der Kettendemonstration mit einer eigenen Aktion anzuschließen. In der Vergangenheit war die Heimatstadt des Pilsner Biers oft Schauplatz von Nazi-Demonstrationen, doch auch organisierte Gegendemos haben dort Tradition. Auch diesmal bildeten örtliche Initiativen eine Plattform unter dem Motto „Pilsen gegen Rassismus“, mit der sie an verschiedenen Orten der Stadt Gegendemonstrationen anmeldeten. Am 24. August veranstalteten sie eine Gegenkundgebung mit einer Teilnahme von mehreren Hundert Personen von unterschiedlicher Hautfarbe. Als sich der Demonstrationszug der Neonazis einem Viertel mit einem hohen Anteil an Roma-Bewohnern näherte legten sich einige Mitglieder der Plattform auf die Fahrbahn, um die amtlich zugelassene Trasse des Hassmarsches zu blockieren. Die Polizei löste die Blockade unter Anwendung von Gewalt auf, verletzte dabei eine Blockadeteilnehmerin am Kopf und nahm etwa zehn Blockadeteilnehmer vorübergehend in Gewahrsam.

www.romea.cz/en/news/czech/czech-republic-anti-roma-marches-result-in-101-people-detained

www.youtube.com/watch?v=aPSKiEZfC3s

Jičín, 24.8.2013

In der ostböhmischen Kleinstadt meldeten ansässige Neonazis einen Marsch durch die Stadt an, vermutlich auch mit dem Ziel Polizeikräfte zu binden. In der Stadt selbst in das Zusammenleben von Roma und den übrigen Bürgern seit langem problemlos. Eine örtliche Initiative organisierte eine Gegenveranstaltung unter dem Motto „Mit Märchen gegen Hass“. Die Stadt veranstaltet alljährlich ein Märchenfestival. Auf dem Marktplatz stellten sich etwa zehn Personen mit Transparenten den Neonazis entgegen.

www.romea.cz/en/news/czech/czech-republic-anti-roma-marches-result-in-101-people-detained

www.youtube.com/watch?v=lVjzgC2dBbg

Děčín, 24.8.2013

In der nordböhmischen Kleinstadt war keine Demonstration für den 24. August angemeldet. Dennoch versammelten sich etwa achtzig Personen auf dem Marktplatz, um gegen Roma zu demonstrieren. Die Bewohner eines vorwiegend von Roma-Familien bewohnten Mietshauses in der Nähe des Marktplatzes verbarrikadierten sich in ihrem Zuhause und wohnte dabei von Mitgliedern der NGO Konexe unterstützt, die über ein Leiter in das Haus gelangt waren. Es kam nicht zu Ausschreitungen.

www.romareact.org/news/view/1331

České Budějovice, 24.8.2013

Nach den vier teils gewalttätigen Ausschreitungen in Juni und Juli 2013 richtete sich die Aufmerksamkeit erneut der Plattenbausiedlung Máj. Der offiziell angemeldete Marsch endete unweit der Siedlung und erneut gelangten kleinere Gruppen von Demonstranten auf eine Grünfläche zwischen zwei Blöcken von Plattenbauten, in denen zahlreiche Roma-Familien wohnen. Die örtliche Polizei schritt nicht ein, sondern begnügte sich damit zu beobachten, wie der Pöbel zwei Stunden lang Bewohner der Häuser rassistisch beleidigte und zu einer Konfrontation provozierten. Erst als sich eine Gruppe von jungen, leicht bewaffneten Bewohnern dem Pöbel entgegen stellte, griff die Polizei ein und trennte beide Gruppen voneinander. Die angemeldete Demonstration löste sich daraufhin allmählich selbst auf, gegen keinen ihrer Teilnehmer wurden strafrechtliche Ermittlungen aufgenommen.

Kraslice, 7.9.2013

Im nordwestböhmischen Kraslice organisierte die Partei DSSS eine weitere Wahlkampfveranstaltung, die von einem stillen Protest einiger ansässiger Antifaschisten begleitet wurde. Im Anschluss marschierten etwa achtzig Personen friedlich durch die Stadt. Am Abend desselben Tages fand ein Konzert statt, bei dem auch ein Roma-Band auftrat.

www.romea.cz/en/news/czech/commentary-neo-nazis-don-t-belong-in-kraslice-they-just-want-money-and-violence

Staré Ždánice, 8.9.2013

Im ostböhmischen Dorf Staré Ždánice gab es in der jüngsten Vergangenheit Beschwerden wegen Ruhestörung und kleineren Delikten in der Umgebung eines vorwiegend von Roma bewohnten Wohnheims. Dies nahm die Neonazi-Partei zum Anlass, auch eine Wahlveranstaltung durchzuführen. Bei geringem Interesse der ansässigen Bevölkerung setzten sich etwa 50 Personen nach Beendigung des Meetings in Richtung Roma-Wohnheim in Bewegung. Kurz bevor sie ihr Ziel erreichten, stellten sich ihnen Polizeikräfte in den Weg und riefen sie zur Auflösung der Spontandemo auf. Daraufhin versuchte der Pöbel über Schleichwege und Äcker von hinten an das Wohnheim zu gelangen, doch erneut wusste eine schwer bewaffnete Spezialeinheit der Polizei sie daran zu hindern. Was später noch geschah, ist bislang unklar.

České Budějovice, 14.9.2013

Schon in den vorhergehenden Wochen hatte sich gezeigt, dass verschiedene Gruppierungen der Neonazis nicht oder nur zum Teil mit der Strategie der Splittergruppe der teils chaotisch teils plump agierenden tschechischen Löwen einverstanden waren. Umso tief greifender war für die Löwen der Schock, als ihre Web-Seite ebenso wie die Facebook-Seite ihrer kurz vor der Anmeldung stehenden Partei „Demokratische Partei der Werktätigen“ gehackt wurde. Die Löwen agierten auf dem Internet nunmehr unter dem Motto: „Wir sind eine Horde von Narren und unterhalten euch“.

Im Rahmen ihrer generalstabsmäßig geplanten Tournee durch die Republik sollte ihre nächste Station die südböhmische Metropole Budweis sein, in der sie sich schon so gut wie zu Hause wähnten. Die Stadtverwaltung hatte die angemeldete Demonstration zwar verboten, das Gericht der ersten Instanz das Verbot gebilligt, dennoch ging die Stadt auf Nummer sicher, ließ Müllcontainer präventiv abtransportieren und die Polizei stellte sich massiv auf, um nichts anbrennen zu lassen. Denn – Verbot hin, Verbot her – die Löwen mobilisierten zu einem weiteren Marsch auf Plattenbausiedlung Máj.

Am Treffpunkt – dem Fernbahnhof der Stadt – hatten sich schon einige Neonazis versammelt, als sie die Nachricht erreichte, dass der per Bahn anreisende Anmelder wegen Verspätung die Demo kurzerhand abgesagt hatte. Die bereits eingetroffenen Kampfgenossen irrten daraufhin kopflos durch die Stadt, woraufhin einige von ihnen auf Internetchats mitteilten, dass die „Löwen“ ab jetzt für sie gestorben sind.

Varnsdorf, 14.9.2013

Die nordböhmische Stadt war im Spätsommer 2011 zum Brandherd der rassistischen Bewegung geworden. Eine Welle von aufeinander folgenden Demonstrationen hielt die Regierung in Atem, die programartigen Angriffe auf Roma-Wohnheime wollten sechs Wochen lang kein Ende nehmen. Die Folge war eine intensive Traumatisierung den ansässigen Roma, vor allem ihrer Kinder. Abgesehen von einem Internationalen Kindertag auf dem Hof eines der Roma-Wohnheime der Stadt, organisiert von der Plattform „Hass ist keine Lösung“ blieb eine Reaktion der Öffentlichkeit auf die Hassmärsche aus.

Um so sehr erhoffte sich die Neonazi-Partei DSSS an ihre früheren Erfolge eben dort anknüpfen zu können. Im Vorjahr hatten noch etwa dreihundert Personen am Jahrestag der Ausschreitungen einen Marsch zu den Roma-Ghettos durchgeführt.

Am zweiten Jahrestag nahmen an der Wahlkundgebung auf dem Marktplatz der Stadt nicht einmal sechzig Personen teil. Einige Antifaschisten aus der benachbarten deutschen Lausitz protestierten mit Transparenten gegen Volksverhetzung. Die Plattform blokujeme.cz veranstaltete zeitgleich ein Kinderfest in einer Plattenbausiedlung, in der zahlreiche frühere Bewohner des Roma-Wohnheims „Sport“ im Vorjahr Zuflucht gefunden hatten und in dessen Umgebung es immer wieder zu Streitereien wegen Ruhestörung gekommen war. Sicherheitskräfte hatten wie gewohnt Roma aus anderen Stadtteilen oder Wohnheimen angewiesen, ihre Kinder davon abgehalten, an dem Fest teilzunehmen. So kam es dann auch.

Přerov, 21.9.2013

Die nordostmährische Stadt wurde in der Vergangenheit zum Schauplatz von zahlreichen Hassmärschen, die teilweise in heftigen Straßenschlachten mit der Polizei endeten. Der Marsch zum 1. Mai – dies Jahr zum ersten Mal in Přerov – war friedlich verlaufen, eine größere Gegendemonstration fand nicht statt.

Zu dem Marsch vom 21. September riefen nicht wie noch im Mai die militante Neonazi-Demonstration NO (Národní odpor) „Nationaler Widerstand“ und die DSSS, sondern die Tschechischen Löwen auf, die sich zugleich von der DSSS-Partei ausdrücklich distanzierten. Das Happening „gegen Neonazismus und für ein gewaltfreies Zusammenleben“ organisierte die Plattform „Wir blockieren“ gemeinsam mit ansässigen Antifaschisten auf dem Platz nám. Fr. Rasche, unweit der Trasse des geplanten Marsches. Die Polizei stellte mehrere Hunderschaften und einen Helikopter auf, die Stadtverwaltung entfernte sämtliche Müllcontainer von der Trasse und rief die Bevölkerung, ihre Privatfahrzeuge in Sicherheit zu bringen.

Zur Kundgebung der Löwen kamen schließlich nur etwa fünfzig Teilnehmer, doppelt so viel Personen wohnten der Gegenveranstaltung teil. Nach kurzen Reden sagte der Anmelder der Nazi-Demo den angemeldeten Marsch wegen Mangel an Teilnehmern ab, die Anwesenden ließen sich in einer Kneipe nieder. Am frühen Abend rottete sich eine kleinere Gruppe am Platz der Freiheit (nám. Svobody) zusammen, woraufhin die Polizei eingriff und etwa zwölf von ihnen vorübergehend festnahm. Nach Medienberichten hatte die Gruppe beabsichtigt, nach der Auflösung der Demonstration in eine der Roma-Lokalitäten auch ohne offizielle Anmeldung vorzudringen. Laut Polizeisprecherin erfolgte die vorläufige Festnahme, um „rechtswidrigem Verhalten“ vorzubeugen.

Ostrava, 27.9.2013

Der Feldzug der Löwen durch die Republik schien damit endgültig in einem Fiasko geendet zu sein. Mittlerweile mobilisierte die verbotene Organisation NO (Nationaler Widerstand) jedoch für den 27. September zu einem weiteren Marsch in der mährisch-schlesischen Metropole Ostrava, in der sie in punkto Straßenschlachten ihren in diesem Jahr größten Erfolg verbuchen konnte.

www.youtube.com/watch?v=4qnff5H9-QE#t=11

Für den 28.9.2013 haben die Löwen eine Demonstration im nordböhmischen Krupka angekündigt, die DSSS ein Wahlkampf-Meeting sowie einen Marsch durch Vítkov, eine lokale Initiative aus Budweis für den 29. September einen weiteren Marsch in Richtung Plattenbausiedlung Máj und der Nationale Widerstand am selben Tag eine Demonstration auf dem Prager Wenzelsplatz. Weitere Fiaskos könnten die diesjährige Marschsaison vorzeitig beenden.

© Markus Pape, 24. September 2013

3 Kommentare

  1. […] Mit Blick auf die Vielzahl von antiziganistischen Aktionen der letzten Wochen und der aufgeladenen Stimmung im Land ist die Devise allerdings wachsam zu bleiben. Der kleinste Anlass kann dazu führen, dass sich wieder pogromartige Aufruhr gegen Roma entwickelt. Dazu brauch es offenkundig keine Demonstrations-Tour von Nazisplittergruppen. Die NGO Konexe organisiert an allen Orten, wo mittels Aufmärschen und anderen Aktionen rassistische Stimmung gegen Roma gemacht wird, Veranstaltungen mit und für die Roma-Bevölkerung. Damit soll praktische Solidarität und Schutz geübt werden. Das Engagement von Konexe und UnterstützerInnen ist essentiell, stößt aufgrund der Vielzahl der Aktionen allerdings an – finanzielle – Grenzen. >>> Darum ruft Konexe grenzüberschreitend zu Spenden auf: http://www.irr.org.uk/news/its-like-a-war/ >>> Markus Pape, Journalist und aktiv bei Konexe hat zudem folgenden Situationsbericht veröffentlicht: TSCHECHISCHE REPUBLIK – NEUE WELLE DES ANTIZIGANISMUS IM SOMMER 2013 […]

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