Rede: „Es gibt keine Enthaltung bei Diskriminierung“ (www.juergenweber.eu)

Blog von Jürgen Weber:

Rede: „Es gibt keine Enthaltung bei Diskriminierung“

Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg und andere Flüchtlingsorganisationen riefen anlässlich der Abstimmung im Bundesrat über den Gesetzentwurf über so genannte „sichere Herkunftsländer“ zu einer landesweiten Kundgebung auf. Im Folgenden wird hier die Rede von Jürgen Weber vom 13. September 2014 auf der Kundgebung „Roma haben kein sicheres Herkunftsland!“ auf dem Stuttgarter Schloßplatz dokumentiert.

Ich will mich kurz halten, daher schicke ich vorweg warum ich diese Diskussion um die so genannten „Armutsflüchtlinge“ nicht mehr hören kann. Ich frage Euch: Ist Armut der Roma denn Fluchtursache oder vielmehr Folge von Diskriminierung?
Roma haben keinen Zugang zu Bildung, zu Arbeit, zu Wohnungen. Roma sind Diskriminierungen von Behörden und Ausgrenzungen und Übergriffen in den Gesellschaften ausgesetzt. Dies gilt gleichermaßen für Serbien, Mazedonien und Bosnien Herzegowina, wie für EU-Staaten wie Ungarn, Tschechien und die Slowakei.
Ich habe diese Länder als Journalist bereist und Roma getroffen.
Es ist überall das Gleiche. Armut ist Ausdruck von Diskriminierung, Ausdruck von Ausgrenzung und Ausdruck von Verfolgung bis hin zu von der Polizei geduldeten Pogromen.
Es ist geradezu absurd von einem Missbrauch des Asylrechts zu sprechen. Drehen wir den Spieß doch um: Die wahren Asylbetrüger sitzen in Berlin und in den Regierungen der Länder.

Ich habe im Juli die aus Konstanz abgeschobene Familie Osmanov in Mazedonien besucht. Ich habe eine tiefgespaltene Gesellschaft vorgefunden. Eine Gesellschaft wie wir sie uns nicht vorstellen können. Die Bevölkerungsgruppen in Skopje leben getrennt voneinander. Südlich des Flusses Vardar lebt die Mehrheitsbevölkerung, nördlich des Flusses die muslimische Bevölkerung mit albanischen Wurzeln und noch nördlicher in Shutka am Stadtrand die Roma-Bevölkerung. Ohne Chance auf Anschluss an den Rest.
Flüchtlingen, die nach Mazedonien abgeschoben werden, wird der Pass abgenommen. Diese Gesetze verstoßen gegen Menschenrechte, EU-Recht und die mazedonische Verfassung. Was sind also „Sichere Herkunftsstaaten“? Was bestimmt diese Sicherheit? Sicher als Partner der EU? Sicherer Zugang zu deren Märkten? Sicher wie das Gelände der amerikanischen Botschaft im Nordwesten Skopjes von wo aus der Nahe Osten ausspioniert wird?
Kaum einen Kilometer daneben wird Roma mit von den Behörden gestohlenem mazedonischem Pass hingegen der Zugang zu Arbeitnehmerrechten, zu Bildung oder zur Gesundheitsversorgung verweigert. Nur eines scheint sicher: Der ewige Kreislauf von Diskriminierung und Verfolgung.
Hans-Peter Storz, der SPD-Landtagsabgeordnete aus dem Landkreis Konstanz, verlegt gerne Stolperseine für die Opfer des Nationalsozialismus. Das finde ich richtig und gut. Er wird aber fuchsig, wenn wir im vorhalten, dass aus dem Landkreis – wie überall in der Republik – unmittelbare Nachkommen der Opfer des Nationalsozialismus abgeschoben werden.
Ich jedenfalls schäme mich dafür, wenn im Konstanzer Flüchtlingslager an der Steinstraße Menschen wie Alisa Alisanovic leben und traumatische Ängste haben. Eine Frau die mit fünf Jahren erlebt hat, wie ihr Vater nachts von den Nazis ins Konzentrationslager nach Nis abgeholt wurde. Die jetzt in deutschen Flüchtlingslagern erlebt wie nachts die fünfjährigen Kindern von deutschen Polizeibeamten zur Abschiebung abgeholt werden.
Die Folgen sind nicht die Selben, aber es macht mit den Menschen das Gleiche. Die gleichen Stiefelschritte in den Gängen. Die gleichen befehlenden Stimmen in deutscher Sprache.
Befehle und Anordnungen gleichwohl ausgeführt: Herzlos, kalt, bürokratisch.
Das schlimme bei der Familie von Alisa Alisanovic ist, dass sie wieder vor faschistischen Schlägertrupps von Nationalisten aus Nis fliehen musste. Ausgerechnet nach Deutschland. Doch willkommen sind die Angehörigen der Opfer des Nationalsozialismus hier nicht. Ich habe gerade eine Reportage über die Familie veröffentlicht.
„Offensichtlich unbegründet“ sei ihr Asylantrag.
Sind wir ehrlich. Der Einzelfall zählt schon heute nicht bei Roma aus Serbien, Mazedonien und Bosnien Herzegowina. „Offensichtlich unbegründet“ lautet die Zauberformel der Behörden um das Grundrechts auf Asyl mit Füßen zu treten. Dabei ist nachgewiesen das im Einzelfall der Familie sogar das elfjährige Kind von den Stiefeln der Nazi-Schläger so oft am Kopf getroffen wurde, dass der Junge schwerverletzt ins Krankenhaus gebracht werden musste.
In der vierten Generation verfolgt von Faschisten.
Die Flucht und das Asyl: „Offensichtlich unbegründet“. Geflohen aus einem „Sicheren Herkunftsland“.
Mir fällt dazu nichts mehr ein. Außer: Schon eine Enthaltung in dieser Frage ist unerträglich. Es gibt gegen Nazi-Schläger und Asyl davor keine Enthaltung. Es gibt gegen die Diskriminierung der Sinti und Roma keine Enthaltung. Deutschland muss zum Asylrecht stehen. Gerade und ohne jedes Wenn und Aber bei einer ehemaligen Opfergruppe des Nationalsozialismus.
Die Petition „Alle Kinder bleiben hier – Keine Abschiebung von Roma aus dem Landkreis Konstanz“ des Aktionsbündnis Abschiebestopp hat im Landkreis rund 1500 Unterschriften für ein humanitäres Bleiberecht der Familien gesammelt.
Eine von allen Fraktionen unterstützte Resolution steht im Konstanzer Gemeinderat zur Abstimmung. Auch dieses Votum wollen wir heute in Richtung Landesregierung senden: Alle Familien bleiben hier!

Jürgen Weber am 13. September 2014 auf der Kundgebung „Roma haben kein sicheres Herkunftsland!“ auf dem Stuttgarter Schloßplatz

Fotos: Andrea Siedow


„Roma haben kein „sicheres Herkunftsland“

Sa, 13.09.2014, 12 Uhr, Schloßplatz Stuttgart
Aufruf zur Kundgebung
Keine Kompromisse beim Flüchtlingsschutz!
Keine Zustimmung Baden-Württembergs zur geplanten Asylrechtsverschärfung!

Die Bundesregierung will Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als „sichere Herkunftsstaaten einstufen. Dies hätte zur Folge, dass Asylantragsteller aus diesen Ländern kaum noch eine Chance hätten, in Deutschland Schutz zu erhalten. Im Hauruckverfahren wurde das Gesetz durch den Bundestag gepeitscht. Im Bundesrat wurde es zunächst gestoppt, weil die Länder mit grüner und linker Regierungsbeteiligung, darunter Baden-Württemberg, bislang die Zustimmung verweigern. Jetzt versucht die CDU, die Grünen und Linken dadurch zu einer Zustimmung zu diesem Gesetz zu nötigen, dass die CDU nur dann eine geplante Erleichterung des Arbeitsmarktzugangs von Asylsuchenden mittragen will, wenn das „Roma-Gesetz“ durchgeht. Am 19. September steht diese Entscheidung erneut auf der Tagesordnung des Bundesrats. Wir fordern die grün-rote Landesregierung auf, standhaft zu bleiben, diesen Kuhhandel auf dem Rücken von Flüchtlingen zurückzuweisen und den Gesetzentwurf im Bundesrat abzulehnen!

Wenn die Bundesregierung Serbien, Mazedonien, und Bosnien-Herzegowina als sicher deklariert, dann ignoriert sie die Berichte zahlreicher namhafter Organisationen, nach denen Roma und Homosexuelle starker sozialer und rassistischer Diskriminierung ausgesetzt sind. Stattdessen stützt sie sich einseitig auf die Statistiken des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, also auf selbst geschaffene „Fakten“. Wenn man selbst die Anerkennungsquote im Asylverfahren auf Null setzt, kann man leicht behaupten, dass Menschen aus diesen Herkunftsstaaten keine Fluchtgründe hätten. Das Asylrecht ist ein Individualrecht, das eine sorgfältige Prüfung jedes einzelnen Antrags auf Schutz notwendig macht. Wir wenden uns dagegen, dass dieses Grund- und Menschenrecht weiter verstümmelt werden soll.

Auch in Hinblick auf die deutsche Vergangenheit verbietet sich die Verabschiedung eines Gesetzes, das sich erkennbar gegen Roma aus dem ehemaligen Jugoslawien richtet. Am 28. November 2013 hat die grün-rote Landesregierung einen Staatsvertrag mit dem Landesverband Deutscher Sinti und Roma Baden-Württemberg unterzeichnet, mit dem die historische Verantwortung Deutschlands gegenüber den Angehörigen dieser vom Nationalsozialismus verfolgten Gruppe anerkannt wird und diesen Menschen weitgehende Minderheitenrechte zuerkannt werden. Einen ähnlich respektvollen Umgang erhoffen und erwarten wir uns auch mit Angehörigen der Roma-Minderheit, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben. Statt diese Menschen in der öffentlichen Diskussion als bloße „Armutsflüchtlinge“ zu stigmatisieren und eine Abschiebungspolitik zu betreiben, sollten ihnen Rechte als Minderheit und Schutz vor Diskriminierung gewährt werden.

Die grün-rote Landesregierung ist im April 2011 mit dem Slogan „Humanität hat Vorrang“ angetreten. In der Asyl- und Flüchtlingspolitik soll der „Grundsatz eines menschenwürdigen Umgangs mit Flüchtlingen“ eingehalten werden. Dies lässt aus unserer Sicht nur ein deutliches NEIN zur geplanten Asylrechtsverschärfung zu.

Zu der Kundgebung rufen auf:
Freiburger Forum Aktiv gegen Ausgrenzung
Flüchtlingsrat Baden-Württemberg
Arbeitskreis Roma-Solidarität Konstanz
Aktionsbündnis Abschiebestopp Konstanz


„Mazedonische Familie soll Abschiebung bezahlen“

Die am 20. Mai 2014 aus dem Konstanzer Flüchtlingslager Steinstraße nach Mazedonien abgeschobene sechsköpfige Familie Osmanov soll den deutschen Behörden die Kosten der Abschiebung erstatten. Minutiös führt die Landespolizei dabei Buch und beziffert ihren Aufwand mit 1.209,40 Euro für die nächtliche Polizeiaktion gegen die Familie.

Es ist das gängige Verfahren, dass abgeschobene Flüchtlinge die Kosten ihrer Abschiebung von den deutschen Behörden in Rechnung gestellt bekommen. Zu zahlen sind die Beträge bei Wiedereinreise, was für die Familie Osmanov praktisch einem lebenslangem Einreiseverbot nach Deutschland gleichkommt. Denn die Kosten beziffern sich insgesamt auf 4.036,96. Neben der Rechnung der Landespolizei fallen Flugkosten in Höhe von 2.757,06 Euro und eine Verwaltungspauschale für die Abschiebung in Höhe von 70,50 Euro an.
Der Fall des im Landkreis Konstanz lebenden serbischen Roma Zahid H. zeigt, dass Abschiebekosten auch Jahre später von den deutschen Behörden eingefordert werden. Er wurde als 15-jähriger Jugendlicher in den 1990er Jahren mit seiner Familie aus Freiburg abgeschoben. Sein Vater desertierte während des Balkankrieges aus der serbischen Armee und suchte mit seiner Familie Schutz in Deutschland. Nach Kriegsende wurde die Familie ebenfalls ahnungslos mitten in der Nacht abgeschoben. Bei seiner erneuten Einreise vor vier Jahren kassierten die deutschen Behörden die damals angefallenen Kosten seiner Abschiebung. Dabei liegt es nahe, dass Flüchtlingskinder, die in Deutschland aufgewachsen sind auch wieder in das Land ihrer Kindheit zurückkehren wollen. Zahid H. verbrachte sieben Jahre seiner Kindheit in Freiburg. Er hat in diesem Sommer seinen Schulabschluss erfolgreich nachgeholt und tritt im September eine Ausbildung zum Maschinen- und Anlagenführer an. Den Kindern der Familie Osmanov, die teilweise hier eingeschult wurden, wird so auch später eine Rückkehr erheblich erschwert.
Mittlerweile ist auch bekannt geworden, dass die Rechtsmittel gegen den abgelehnten Asylantrag der Familie Osmanov noch nicht ausgeschöpft und das Verfahren damit nicht abgeschlossen ist. Es liegt im Ermessen des jeweiligen Beamten beim Regierungspräsidium, ob abgeschoben wird. Denn das Berufungsverfahren hat „keine aufschiebende Wirkung“, so sieht es der Gesetzgeber vor. Besonders wiegt auch die Entscheidung der zuständigen Beamtin, die Familie nicht vorher benachrichtigt zu haben. Dies ist bei Familien häufig der Fall, liegt aber ebenfalls im Ermessen der zuständigen Sachbearbeiterin. Diese Entscheidung traf die Familie und besonders die Kinder der Familie hart. Eine Traumatisierung durch den nächtlichen Polizeieinsatz wird dabei billigend in Kauf genommen. Im Vordergrund steht die reibungslose Durchführung der Maßnahme.
Der Anwalt der Familie in Deutschland prüft derzeit noch, ob das Grundrecht auf „Unverletzlichkeit der Wohnung“ von deutschen Polizeibeamten bei der Abschiebung verletzt wurde und ob die Abschiebung vom 20. Mai noch ein juristisches Nachspiel haben wird.
Auch ein Anwalt in Mazedonien erwägt eine Klage gegen die dortigen Behörden. Im Juli entschied das Verfassungsgericht in Skopje, dass die Abnahme der Reisepässe von ins Ausland geflüchteten und zurück abgeschobenen Roma verfassungswidrig und gegen die allgemeinen Menschenrechte gerichtet ist. Die Familie Osmanov und ein weiteres aus Konstanz abgeschobenes Ehepaar sind davon betroffen.
Dass die Rechtsmittel nach einer Abschiebung ausgeschöpft werden ist eher die Ausnahme. Auch bei der Familie Osmanov ist dies nur mit der Unterstützung des Konstanzer Arbeitskreises „Roma-Solidarität – Alle Kinder bleiben hier!“ möglich.


„Aus Konstanz abgeschobener Rom in Mazedonien festgenommen“

Der am 3. Februar mit seiner Frau aus dem Konstanzer Atrium abgeschobenen 25-jährige Rom wurde in Mazedonien verhaftet und erneut verhört. Wie erst jetzt bekannt wurde drang die mazedonische Polizei bereits zu Wochenbeginn in die Wohnung des jungen Paares bei Strumica ein und verhaftete den Mann.

Auf der Polizeiwache wurde er stundenlang festgehalten und verhört. Er wurde nach seinen Fluchtgründen im deutschen Asylverfahren und seinen Kontakten nach Deutschland befragt. Inzwischen ist ein Rechtsanwalt in der mazedonischen Hauptstadt Skopje eingeschaltet und der junge Mann wieder auf freiem Fuß. Auf den Rat des Rechtsanwalts, er solle bei der Polizei nichts sagen und die Aussage verweigern, erklärt der junge Rom: „Das mag der Anwalt in Skopje sagen, aber hier läuft das anders“. Dem jungen Paar wurden bei der Abschiebung die Reisepässe nicht ausgehändigt und bereits bei einem ersten Verhör mit weiteren Strafen gedroht. Erst letzte Woche hat das mazedonische Verfassungsgericht das Gesetz zur Einbehaltung der Reisepässe von Flüchtlingen für verfassungswidrig erklärt. Das diskriminierende Verhalten und die Einschüchterungen von mazedonischen Behörden und der Polizei gehen hingegen weiter, wie der Fall des aus Konstanz abgeschobenen Flüchtlings zeigt.


„Bericht über eine Recherchereise zu abgeschobenen mazedonischen Flüchtlingen“

Bericht
Abschiebungen aus Deutschland von Flüchtlingen
mit Zugehörigkeit zur Roma-Minderheit nach Mazedonien

Grundlage:
Recherchereise des deutschen Journalisten Jürgen Weber nach Mazedonien
(Jürgen Weber ist auch Mitglied des Flüchtlingsrates Baden-Württemberg/Stuttgart
und des Aktionsbündnisses Abschiebestopp Konstanz)
Skopje, 2. Juli 2014

Am 20. Mai 2014 kurz nach 2 Uhr nachts wurde die Familie Osmanov von der deutschen Polizei aus dem Flüchtlingslager an der Steinstraße 20 in Konstanz (Deutschland/Baden-Württemberg) geholt und nach Mazedonien abgeschoben. Die Familie besteht aus der Mutter Menekshe, dem Vater Ahmed und der vier Mädchen Sefda (13), Fidan (10), Nakie (8) und Isik (7). Sie wurden von der Abschiebung im Schlaf überrascht. Die Mädchen gingen in Konstanzer Schulen und waren auch beispielsweise in einem Theaterprojekt integriert.
In den frühen Morgenstunden des 3. Februar 2014 wurde bereits ein junges Paar aus dem Flüchtlingslager „Atrium“ in Konstanz nach Mazedonien abgeschoben.
Bei allen Abgeschobenen handelt es sich um Angehörige eine türkischsprachige Minderheit der Volksgruppe der Roma im Südosten Mazedoniens. Der derzeitige Aufenthaltsort des jungen Paares ist Strumica, der der Familie Osmanov Bansko.
Die Einzelabschiebungen erfolgten jeweils vom Flughafen Stuttgart. Mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einem Linienflug der Air Serbia nach Belgrad und von dort im Falle der Familie Osmanov mit Air Serbia weiter nach Skopje. Im Falle des jungen Paares auf dem Landwege durch die serbische Polizei bis zur Grenze zu Mazedonien.
Die Reisepässe aller Abgeschobenen sind nicht in deren Besitz, sondern verblieben bei den mazedonischen Behörden. Die deutschen Behörden haben diese offensichtlich den serbischen bzw. mazedonischen Behörden direkt übergeben. Keiner der Abgeschobenen hat bis heute seine im deutschen Asylverfahren abgegebenen Reisepässe wieder erhalten. Streng genommen sind es so die deutschen Behörden, welche die Reisedokumente der Flüchtlinge einbehalten haben und eine Rückgabe verweigern. Wir werden im Auftrag der Mandantschaft Osmaonav Rechtsanwalt Tobias P. Lutze (Robert-Koch-Straße 4, 78464 Konstanz, Deutschland) prüfen lassen, ob das Einbehalten der Reisedokumente und die direkte Weitergabe an Behörden anderer Staaten einen Rechtsverstoß nach deutschem oder internationalem Recht darstellt.
Nach einer auf meine Presseanfrage schriftlich zugsandten Aussage von Dragan Petkovski, Gesandter Botschaftsrat der mazedonischen Botschaft in Berlin, erfolgt das Einbehalten der Reisepässe durch mazedonische Behörden dann auf Grundlage von Gesetzen in Mazedonien und zwar aufgrund:
* des Artikels 37 des Gesetzes für Reisedokumente
* des Artikel 15, Absatz 2 des Gesetzes für Grenzkontrollen.

Dem Artikel über Reisedokumente wurde ein Absatz hinzugefügt, der den Entzug des Reisepasses prinzipiell auf ein Jahr erlaubt. Das Gesetz wurde im September 2011 auf Druck der Europäischen Union und vor dem Hintergrund der Drohung des Entzugs der Visafreiheit eingeführt.

Nach einem 2013 veröffentlichten Bericht der Schweizer Flüchtlingshilfe sind davon fast alle „zwangsweise rückgeführten Personen“, also auch abgeschobene Asylbewerber aus Deutschland, betroffen.
Der beim UNHCR und dem Europäischen Flüchtlingsrat gelistete und für zahlreiche NGO´s tätige Rechtsanwalt Zarko Hadzi-Zafirov aus der Kanzlei „Bona Fide“ (J. H. Dzinot br.3, 1000 Skopje, Mazedonien) hält diese gesetzliche Grundlage für nicht vereinbar mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und gegen die mazedonische Verfassung gerichtet. Er geht davon aus, dass die Auslegung und das Gesetz noch im Sommer 2014 vom mazedonischen Verfassungsgericht als verfassungswidrig entschieden werden. So seine Aussagen in einem Gespräch mit mir in seiner Kanzlei in Skopje am 1. Juli 2014.
Da die Reisepässe der aus Konstanz abgeschobenen mazedonischen Staatsangehörigen jedoch vor einem solchen Urteil erfolgte, müssen diese nach Einschätzung des Anwalts Hadri-Zafirov dennoch vor einem mazedonischen Gericht erstritten werden.
Im Falle des jungen Paares wurde mir berichtet, dass sie bereits bei der Überstellung durch die serbische Polizei an der Grenze von mazedonischen Polizeibeamten verhört wurden. Es wurden mehrfach Fragen zur Nennung von Fluchtgründen im deutschen Asylverfahren gestellt. Nach Aussagen der abgeschobenen Flüchtlinge wurde dabei von der mazedonischen Polizei immer wieder mit hohen Strafen und Gerichtsverfahren gedroht. Die Nennung der Asylgründe im Asylverfahren in Deutschland hätte den Straftatbestand der „Verunglimpfung“ oder „Beleidigung“ des mazedonischen Staates erfüllt, so die Polizeibeamten ihm gegenüber.
Der Rechtsanwalt Zarko Hadzi-Zafirov verneint derartige Straftatbestände im mazedonischen Strafrecht und kennt auch keine Fälle von Verurteilungen von nach Deutschland oder in die EU Geflüchteten wegen der Nennung ihrer Fluchtgründe. Es scheint sich dabei um individuelle oder systematische Drohungen der Beamten der mazedonischen Behörden zur Abschreckung und Einschüchterung der abgeschobenen Roma oder um diskriminierende Schikane zu handeln.
Im Falle der Familie Osmanov wurde aufgrund der mitgeführten Kinder von Seiten der mazedonischen Polizei in Skopje auf ein Verhör am Flughafen verzichtet. Vater Ahmed wurde jedoch von Polizeibeamten aufgefordert sich zum Verhör bei der Polizei in Strumica einzufinden. Er habe eine Strafe zu erwarten, womit wohl das Einbehalten der Reisedokumente gemeint war. Die mazedonischen Behörden haben bislang keinen Bescheid oder sonstigen schriftlichen Belege über die Einbehaltung der Reisepässe an die Familie ausgehändigt oder überstellt. Der mazedonische Anwalt rät der Familie davon ab, zum Verhör bei der Polizei zu gehen.
Über den Zugang zu Bildung oder zur Gesundheitsversorgung der aus Konstanz Abgeschobenen kann zum derzeitigen Zeitpunkt noch keine verbindliche Aussage getroffen werden. Viele örtliche Behörden verweigern Zugang zu Schule, Sozialversorgung und in Folge davon zur Gesundheitsversorgung bei abgeschobenen Personen oder generell bei Angehörigen der Roma-Minderheit.
Auch das Einbehalten der Reisepässe kann durchaus als Diskriminierung bewertet werden. Mir sind bislang nur Fälle des Einbehaltens der Reisedokumente durch mazedonische Behörden bei Angehörigen der Roma-Minderheit bekannt. Auf eine Diskriminierung lassen auch zwei mir bekannte Vorfälle aus jüngster Zeit am Flughafen in Skopje schließen.
Auf einer Podiumsdiskussion im Rahmen des 1. Internationalen Roma-Festivals in Zürich erklärte der in Frankreich lebende und arbeitende mazedonische Journalist Andrijano Dzeladin am 21. Juni 2014, dass er am Flughafen in Skopje von den Grenzbeamten gehindert wurde mit seinem mazedonischen Reisepass zurück an seinen Wohnsitz nach Frankreich auszureisen. Er selbst führt dies darauf zurück, dass er Rom ist. Er wies die mazedonischen Beamten auf die Visafreiheit hin, welche von den Grenzbeamten in Bezug auf ihn verneint wurde. Erst als er an der Ausreise gehindert wurde, zeigte der Journalist mit doppelter Staatsangehörigkeit seinen französischen Reisepass und konnte damit ausreisen.
Nach Presseberichten des in Wien erscheinenden STANDARD und mazedonischer Medien wurde die in Mazedonien lebende Schauspielerin und Romni Emra Kurtischova am 19. Juni 2014 trotz gültiger Reisedokumente und einem Rückflugticket von mazedonischen Grenzbeamten an der Ausreise nach Deutschland zu ihrer in Konstanz lebenden Schwester gehindert. Die mitgeführten 500,- Euro seien zu wenig um sich in Deutschland versorgen zu können und um ihr eine Ausreise zu gestatten, so die offizielle Begründung der Beamten am Flughafen in Skopje. Laut Presseberichten durfte die Frau nicht ausreisen. Emra Kurtischova erwägt nun eine Beschwerde beim mazedonischen Ombudsmann wegen Diskriminierung.
Die Schweizer Flüchtlingshilfe verweist auf offizielle Zahlen wonach bereits in den Jahren 2011 und 2012 über 5000 Personen, fast ausnahmslos Angehörige der Roma, die Ausreise verweigert wurde.
Innerhalb der Bürgerschaft in Konstanz ist über die nächtliche Abschiebung der Familie Osmanov eine öffentliche Diskussion entbrannt. Kritik richtet sich vor allem gegen die Praxis der unangekündigten nächtlichen Abschiebungen, die geschichtsbewusste deutsche Bürgerinnen und Bürger häufig an Deportationen erinnert.
Im Fokus der Kritik stehen auch die Behörden im Landkreis Konstanz. So überlässt das für die Versorgung, das Wohlergehen und die Sozialbetreuung zuständige Landratsamt den deutschen Polizeibehörden zum Zwecke der Abschiebung die Schlüssel für die privaten Zimmer der Flüchtlinge. Das deutsche Grundrecht auf „Unverletzlichkeit der Wohnung“ (Artikel 13, GG) wird Flüchtlingen somit nicht gewährt und in eklatanter Weise verletzt.

Jürgen Weber

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